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Liebe Leserinnen und Leser,

die Bundestagswahl rückt näher, aber irgendwie hat man nicht das Gefühl, dass die Inhalte klarer werden: Im Fernsehen wird uns zum zweiten Mal ein Triell präsentiert. Was sich die Verantwortlichen bei den Sendern wohl gedacht haben? Möglicherweise, weil man in den USA mit den Fernsehduellen seit langem gute Einschaltquoten erreicht. So richtig mag das Duell gar nicht in die bundesrepublikanische Demokratiewirklichkeit passen. Wählen wir nicht mit der Erststimme regionale Vertreter und mit der Zweitstimme Parteien (Landeslisten)? Sorgen hier nicht Massenmedien zu einer Demokratieverflachung, die der Demokratie an sich auf Dauer schaden wird?


Wir haben versucht, in den letzten Wochen die Kandidatinnen und Kandidaten, die hier mit der ersten Stimme wählbar sind, vorzustellen und beenden diese Serie diese Woche mit Sybille Röth (Die Linke) (Seite 10). Wir haben allen Kandidaten die gleichen Fragen gestellt und wer noch einmal zur  Entscheidungsfindung nachlesen will, findet alle Interviews auf www.wochenblatt.net unter dem Button Bundestagswahl-Ticker 2021. Was wir hier versucht haben, ist die Unterschiede zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten so klar »herauszufragen«, dass wir Ihnen zumindest ein bisschen Orientierung geben können. Dass dabei zum Beispiel nur wenige den Mut hatten, auf die Frage: »Wer soll Sie besser nicht wählen?« klar zu antworten, ist schade, aber (und wir wechseln hiermit von der Wochenblatt- auf die Fernseh-Bühne):

Es sind eben nicht nur die Medien, die verflachen, sondern die Amtsbewerberinnen und -bewerber selbst: »Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber«, dieser Satz, der derzeit die Runde macht und vielleicht der momentan meistzitierte Satz der  Fernsehrunden ist, ist zwar logisch irgendwie für den einzelnen manchmal richtig, denn, wenn wir weniger Mittel haben, werden wir Menschen in aller Regel erst einmal einfallsreicher. Allerdings nur, solange wir überhaupt noch Chancen sehen, damit ein motivierendes Ziel zu erreichen. Wenn Aufwand und  Motivationskraft des Ziels nicht mehr zusammenpassen, weil der Aufwand zu hoch wird, die Regel- und  Verbotslage zu unübersichtlich ist, der Spielraum zu klein ist, die mögliche Belohnung für den Innovationsaufwand zu niedrig ist, dann kehrt sich dieser Effekt um: dann lähmen Verbote.

Wer also glaubt, in einem bürokratischen Dschungel, in dem Förderprogramme (Digital jetzt) mittlerweile gar per Verlosung zugänglich gemacht werden, mit noch mehr Verboten Innovationsstimmung zu schaffen, ohne den Dschungel zu lichten, der wird, so glaubt der Verfasser, die falsche Atmosphäre schaffen. In jedem Fall sorgen weitere Verbote und Regeln meistens dafür, dass kleinere Unternehmen proportional mehr Ressourcen aufwenden müssen, um den Regeln zu begegnen, als große. – Noch mehr Regeln und Verbote ohne deutliche Lichtung des Bürokratiedschungels bevorteilen also tendenziell Konzerne und benachteiligen den Mittelstand – die eigentliche Kernstärke, die die Wirtschaft in diesem Land (noch?) ausmacht.

Was fehlt in nahezu allen Wahldebatten, ist die gedankliche Tiefe: Was passiert, wenn man die Richtungen und Versprechungen zu Ende denkt? Es wird viel zu wenig mit klaren realitätsnahen Szenarien und viel zu viel mit »Ich gebe euch das richtige Gefühl, damit ihr mich wählt« argumentiert. Und wie kommt all das Wahlgeplänkel bei Ihnen an? Schreiben Sie uns an seitedrei@wochenblatt.net. Wir hören bislang von vielen unentschlossenen Wählern, die früher Stammwähler waren – auch wenn die Demoskopen bereits ganz genau zu wissen scheinen, wie die Wahlstimmung ist. Wir hoffen, dass Sie die bereits leicht  herbstlich gefärbte Spätsommerstimmung genießen können und wünschen viel Lesefreude mit dieser Ausgabe.

Anatol Hennig, Herausgeber
Oliver Fiedler, Chefredakteur

Wochenblatt @: Singener Wochenblatt