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Wie ist die Lage, Herr Häusler?

Wünscht sich weniger Bürokratie, damit Kommunen selbst zum Beispiel Impfaktionen auf die Beine stellen können, ist aber sonst mit dem Krisenmanagement von Bund und Land ganz zufrieden: Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler. swb-Bild: Hennig

Bernd Häusler ist Oberbürgermeister der Stadt Singen und damit der größten Stadt im Verbreitungsgebiet.

Singen. Wir haben mit ihm über die aktuelle Coronalage gesprochen, über die Frage, was fehlt vor Ort, um zu tun, was zu tun ist. Dabei hat er auch Stellung bezogen zur Coronapolitik insgesamt und kommt zu einem Schluss, der einen nachdenklich machen kann in der derzeitigen Stimmungslage.


Wochenblatt: Wie ist die Lage, Herr Häusler?
Bernd Häusler: Angespannt. Ich hatte gerade eine Krisensitzung mit dem Landrat und den  Bürgermeisterkollegen aus dem Landkreis. Die Lage ist schon ernst. Natürlich ist ein zentrales Thema das Impfen und das andere sind die Kliniken und die Sorge vor deren Überforderung.

Wochenblatt: Wie viel Macht haben Sie da jetzt selbst?
Häusler: Unsere Macht ist vor Ort eingeschränkt. Wir könnten und können mit Allgemeinverfügungen das eine oder andere untersagen. Das geht aber nicht willkürlich und braucht jeweils eine rechtsstaatliche Begründung.

Wochenblatt: Können Sie ein Beispiel nennen?
Häusler: Zum Beispiel die Maskenpflicht auf dem Wochenmarkt wieder einzuführen. Der Wochenmarkt ist zwar draußen, aber das Thema Abstand ist auf dem Wochenmarkt heikel.
Ansonsten sind uns in vielen Bereichen die Hände gebunden: Es gibt eine Coronaverordnung des Landes und ein Infektionsschutzgesetz des Bundes. Beim Thema Impfen hängen wir an den mobilen Impfteams, die ihr Bestes geben. Wir kämpfen immer wieder mit bürokratischen Hemmnissen. Wenn wir sagen, die Kommunen würden das Thema Impfen selbst in die Hand nehmen, dann brauchen wir die Ärzte und Hilfspersonal dazu. Sicher würde dabei auch der eine oder andere Hausarzt mit einsteigen. Aber das Thema Abrechnung mit eigenen Patienten versus den Menschen, die nicht Patient beim jeweiligen Hausarzt sind, das macht die ganze Sache dann wieder sehr aufwendig und zeitintensiv. Wir, die Kommunen, würden dort gerne mehr machen, brauchen aber das Land dazu. Man müsste uns da mehr Freiheiten geben und die Abrechnung müsste vereinfacht werden.

Wochenblatt: Oben werden die Regeln gemacht und unten findet die Realität statt. Ist der Kanal, also der Rückkanal von den Städten und Gemeinden zur Landesregierung im Laufe der Pandemie besser oder schlechter geworden?
Häusler: Der Zugang, den wir jetzt haben – und mit »Wir« ist in diesem Fall der Landkreis gemeint – ist mittlerweile ganz gut. Da ist auch ein Verständnis von Seiten des Sozialministeriums vorhanden. Aber man muss folgendes sehen: Wir hatten Impfzentren, die haben funktioniert. Jetzt müssen wir von heute auf morgen eine komplett neue Infrastruktur aus dem Boden stampfen. Das überfordert natürlich auch unsere Kliniken, denn die sind jetzt verantwortlich für die mobilen Impfteams.
Dem Personal in den Impfzentren hat man im September mit dem Ende der Finanzierung gesagt: »Tschüss, auf Wiedersehen, das war’s.« Und acht Wochen später sollte man das wieder aus dem Boden stampfen. Viele der Leute, die für uns im Impfzentrum gearbeitet haben, haben sich inzwischen anders orientiert. Einen Vorwurf will ich daraus aber niemandem machen.

Wochenblatt: Beim Martinimarkt gab es eine lange Schlange zur Impfaktion im Rathaus, viele mussten ohne Impfung wieder heim gehen. Glauben Sie, dass noch viele Menschen bereit wären, sich zu impfen?
Häusler: Auf jeden Fall, da habe ich keine Bedenken. Durch die Verschärfung der Verordnungen und aufgrund der Gesetzeslage 3G am Arbeitsplatz ist es eben am einfachsten, geimpft zu sein. Wir hatten am vergangenen Freitag an der Gewerbeschule ein mobiles Impfteam, die Schlange war sehr lang, viele Leute sind schon zwei Stunden vor der Öffnung dagewesen.

Wochenblatt: Warum ist es passiert, dass man den Impfdruck reduziert hat? Die Hausärzte sind hoffnungslos überfordert in ihren Praxen und das seit Monaten. Funktioniert da der Politikbetrieb noch richtig?
Häusler: Der Politikbetrieb funktioniert, wie er funktioniert. Da hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten viel verändert und das ist auch eine gesellschaftliche Entwicklung. Aber: Was für einen Druck hätte man erzeugen sollen, außer vielleicht die Impfpflicht zu beschließen?

Wochenblatt: Warum hat man die Impfzentren geschlossen?
Häusler: Ab August kamen fast keine Leute mehr.

Wochenblatt: Und man hätte auch nicht früher wieder ein Impfzentrum anbieten müssen?
Häusler: Das ist ein Thema. Da bin ich aber als Stadt Singen auf der lokalen Ebene zu weit weg vom Spezialwissen in Land und Bund. Wir haben zum Beispiel keine »Ständige Impfkommission« und wissenschaftliche Experten, die uns beraten. Ich gehe davon aus, dass viele im Sommer gedacht haben, die Zahlen gehen runter. Viele haben gedacht, es sind über 60 Prozent geimpft, das wird schon reichen. Da gab es eben keinen Druck mehr. Jetzt steigen die Zahlen dramatisch an, der Druck nimmt zu, man hört wieder, in den Kliniken kann es zu Triagen kommen. Die Bürger spüren, dass man ohne Impfen nur noch unter großen Schwierigkeiten am normalen Leben teilhaben kann.

Wochenblatt: Wer mathematisch denkt, weiß, dass es jetzt sehr spät ist, die Zahlen sind am Steigen …
Häusler: … Ja, aber wer denkt mathematisch? Unsere Zeit ist so schnelllebig: aus den Augen, aus dem Sinn. Die Menschen haben im Sommer schnell vergessen. Wenn die Verantwortlichen in Land und Bund wussten, dass sich das so entwickelt, und sie wussten, dass zu wenig geimpft sind, dann hätte man sich schon überlegen können, dass man die Impfzentren weiterlaufen lässt.
Im Hintergrund hieß es immer wieder mal, die Hausärzte schaffen das, gleichzeitig haben die Hausärzte selbst gesagt: bei uns ist Land unter.
Zudem sollte man bedenken, es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen, die dem Impfen kritisch gegenüberstehen bzw. die Impfung ganz ablehnen.

Wochenblatt: Wir konnten in Israel beobachten, dass die Impfdurchbrüche mehr wurden, passiert ist erst einmal nichts…
Häusler: Das Thema Impfdurchbrüche ist ein Punkt, wie lange der Impfstoff wirkt ein anderer. Dass der Wirkstoff keinen 100-prozentigen Schutz bietet, das wurde im Vorfeld kommuniziert. Dass die absolute Zahl der Impfdurchbrüche bei steigender Impfquote zunimmt, ist auch logisch.
Hinsichtlich der Wirkdauer gehe ich davon aus, dass man nicht so genau gewusst hat, wie lange die Impfung die Leute zu wieviel Prozent schützt. Das konnte man nicht wissen, als die Impfstoffe auf den Markt gekommen sind, weil natürlich Langzeitstudien fehlten. Ich empfinde es als schwierig, jetzt den Stab darüber zu brechen, dass der Impfschutz zu wenig lang hält.
Es ist doch eine bemerkenswerte Leistung gewesen, dass man ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie in Europa einen Impfstoff hat, der hilft. Dass man da nicht erwarten kann, dass man genau weiß, wie lange der Impfstoff wirkt, ist doch logisch, zumal dies auch von vielen persönlichen Faktoren eines jeden Einzelnen abhängt. Da muss man eben auf Sicht fahren. Und es sind viele, die jetzt alles besser wissen. Im Nachgang kann ich über alles schimpfen. Aber da oben sitzen und vorauszusehen, was in fünf, sechs, sieben Monaten passiert, das ist außerordentlich schwierig.

Wochenblatt: Haben Sie nicht das Gefühl, dass das, was bei ganz vielen angekommen ist, ist: Du lässt dich jetzt zweimal impfen und alles ist gut.
Häusler: Das haben viele gemeint. Aber wenn ich mich gegen Grippe oder gegen irgendwelche Tropenkrankheiten impfen lasse, dann kann ich ja auch nicht davon ausgehen, dass die Wirkung fünf Jahre hält.
Am Anfang ging man davon aus, dass die Wirkung etwa ein Jahr hält und Stück für Stück hat man festgestellt, dass diese schneller nachlässt.
Ich habe immer gesagt, irgendwann kommt es so, dass man im Herbst zum Arzt geht und dort eine Spritze kriegt mit Wirkstoffen gegen Grippe und Covid.

Wochenblatt: Ich wechsle auf die lokale Ebene: Der Nichtlebensmittelhandel wird jetzt die Einhaltung der Regeln überprüfen müssen, das verursacht zusätzliche Personalkosten, gleichzeitig sinken die Umsätze im Handel wieder, auch weil der Lebensmittelhandel mit seinen Nichtlebensmittelsortimenten Ungeimpfte auch ohne Tests reinlassen darf und die Überbrückungshilfen ziehen erst bei 40 Prozent Umsatzausfall gegenüber 2019 ...
Häusler: … Wir machen uns Sorgen um den Handel und die Gastronomie. Der Handel wie auch die Gastronomie hatten letztes Jahr ein schwieriges Weihnachtsgeschäft und ein ebenso schwieriges Frühjahr. Im Sommer und Herbst kamen die Leute wieder in die Stadt …

Wochenblatt: … und Sie haben mit dem »Bewegten Sommer« unterstützt …
Häusler: … Ja, das werden wir auch im nächsten Jahr wieder tun. Dass der Handel jetzt vor dem Weihnachtsgeschäft wieder mit solchen Barrieren kämpfen muss, macht uns große Sorgen. Wir können es aber nicht ändern.

Wochenblatt: Wird es wieder Bürgertests geben?
Häusler: Das wird wieder hochgefahren. Wir sind gerade dabei, auch in der Innenstadt wieder ein Angebot aufzubauen. Auch da: Wir reagieren von Tag zu Tag und von Woche zu Woche. Ich denke, wir als Stadt haben bewiesen, dass wir da sehr schnell und flexibel sind.

Wochenblatt: Sie haben städtische Veranstaltungen abgesagt, für die Stadthalle gilt das noch nicht …
Häusler: … Wir haben die Veranstaltungen abgesagt, die in Räumen stattgefunden hätten, in denen man zum Teil sehr eng sitzt oder bei denen Kontrollen nur eingeschränkt möglich sind. Da wollten wir mit gutem Beispiel vorangehen. Bei der Stadthalle ist das anders: Wir wissen, wie viele Leute kommen, wir haben ein großes Raumvolumen und modernste Luftaustauschtechnik. Je nachdem wie sich die Lage weiterentwickelt, kann es aber auch dort zu weiteren Einschränkungen kommen.

Wochenblatt: Wie ist die Lage an den Kindergärten und Schulen?
Häusler: Im Kindertagesbereich relativ ruhig, es gibt immer wieder Fälle, auch an den Schulen, aber wir müssen noch keine ganzen Schulklassen heimschicken (Stand Freitag letzter Woche). An den Schulen ist wieder Maskenpflicht. Ich denke, wir sollten alles dafür tun, dass wir weiter Präsenzunterricht fahren können. Nichts gegen Fernunterricht, aber das Lernen in der Schule, das Persönliche, das bringt Kinder weiter, als daheim vor dem PC und der Kamera zu sitzen, und die Belastung ist bei Homeschooling für alle Beteiligten, ob Schüler/innen oder Eltern, enorm.

Wochenblatt: Was sind die wichtigsten Punkte aus jetziger Sicht, die der Politik- und Verwaltungsbetrieb lernen sollte?
Häusler: Eine schwierige Frage. Natürlich kann man aus so einer Pandemie lernen. Auf der anderen Seite ist jede Katastrophe, und Corona ist eine Katastrophe, eine neue Herausforderung. Was wir lernen können ist, dass wir in manchen Punkten schneller entscheiden müssen, auch auf die Gefahr hin, dass man eine Fehlentscheidung trifft. Ich habe vor eineinhalb Jahren die Entscheidung getroffen, Veranstaltungen abzusagen, obwohl noch alles offen war. Solche Entscheidungen sind nicht einfach: wenn man falsch liegt, steht man schnell am Pranger.
Auch die Presse hat eine Riesenverantwortung. Nicht alle werden dieser Verantwortung immer gerecht, weil sie einmal so schreiben und im nächsten Moment genau das Gegensätzliche und damit zu einer großen Verunsicherung bei den Menschen beitragen.
Man braucht viel Mut Entscheidungen zu treffen. Wenn man die Entscheidung trifft, Einzelhandelsgeschäfte,
Kultureinrichtungen und die Gastronomie zu schließen, dann hat das eine Riesentragweite. Und gleichzeitig muss man sagen, dass Bund, Land und Kommunen vieles dafür getan haben, dass wir bislang nicht ins Bodenlose abgestürzt sind. Natürlich kann man Kritik äußern, natürlich hätte man im Nachgang das eine oder andere besser machen können, aber insgesamt sind wir bislang noch recht glimpflich durch diese Krise gekommen.

Wochenblatt: Herzlichen Dank für das Interview.

 

Das Interview führte Anatol Hennig.

Wochenblatt @: Anatol Hennig