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Kaum ein Ereignis veränderte so das Kräfteverhältnisse in unserer Region, wie der Bau der neuen Verkehrslinien über die Eisenbahn. Engen war lange die "Hauptstadt" des Hegau gewesen, hier befanden sich Verwaltungen und Gericht, als Amtstadt war das Städtchen auf dem Berg ein Zentrum für die Region. Doch Engen hatte einen entscheidenden Nachteil: Es war zu uneben für das neue Verkehrsmittel. 

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Bahn plötzlich eine neue Standortgunst

Die Planer brauchten eine Ebene, die sich südlich im Dorf Singen fand, das bisher eher ein Schattendasein unter der mächtigen, aber 1800 geschliffenen Burg auf dem Hohentwiel führte. Die neue Schwarzwaldbahn führte zwar ab 1866 auch durch Engen, doch die günstigen Produktionsflächen gab es eben rund um den Bahnhof in Singen. Es ging zwar noch einige Jahre, bis die Entwicklung einsetzte, die Singen zur Industriemetropole im Kreis Konstanz machen sollte, doch die Weichen waren gestellt. Zwar konnte auch Engen wie Stockach Ansiedlungen von Industrie durch die Eisengießerei Fahr oder durch Schiesser vermelden, die neue Arbeitsplätze und damit bessere Lebensverhältnisse versprachen. Doch Singen konnte bald eine andere Rolle spielen. Zug um Zug gab es Ansiedlungen, die die junge Stadt zu einem neuen Zentrum werden ließen.

Es war die nahe Schweiz, die die Grenze mit Filialen überwinden wollte, eine Grenze die sich seit dem Krieg von 1870/71 gegen Frankreich immer mehr manifestierte und die nach dem Ende des ersten Weltkriegs ein immer grösseres Hinderniss darstellte. 1895 kam die Eisengießerei Georg Fischer nach Singen, aus den kleinen Anfängen wurde ein sehr wichtiger Betrieb. 1899, als Singen Stadt wurde, begann auch die Maggi, die zuvor nur ihre Würze hier im "Gütterli-Haus" umgefüllt hatte, mit der industriellen Großproduktion, kurz nach der Jahrhundertwende folge die Alusingen, die sich als damals sehr zukunftweisende Technologie über die Jahrzehnte hinweg zum größten Arbeitgeber entwickelte.

Auf einmal war Singen ein Zentrum, das die Arbeitskräfte anzog, es hatte zunächst auch Flächen, um sich recht dynamisch auszudehnen. Singen, das seinerzeit der Amtstadt Radolfzell zugeordnet war, war die neue Metropole. Der Glanz Engens verblasste zunehmends. Das Amtsgericht wechselte nach Singen über, im Zuge der Verwaltungsreform von 1936 verlor es den Titel der Amtstadt, als Konstanz verwaltungsmäßiges Zentrum werden sollte.

Die Entwicklung stoppte erst Ende der 60er Jahre unseres Jahrhunderts, als zunehmende individuelle Mobilität mit dem Auto Engen wie auch andere Umlandgemeinden als Wohnstandort wieder attraktiv werden liess und auch deutlich wurde, dass Singen nicht weiter ungehemmt wachsen konnte, die früher so reichlich vorhandenen Flächen eben doch endlich waren. Zu dieser Zeit setzte eine Rückorientierung in die Landgemeinden vor allem durch Neubaugebiete ein, die mit günstigeren Preisen aufwarten konnten, als die "Metropole". Die Orientierung nach Singen blieb aber trotzdem bestehen. Der Begriff der "Schlafgemeinde" tauchte vielerorts auf. Engen bemüht sich seit diesem Wiedererwachen um eine Stärkung seiner Zentralität.

Die Autobahn setzte die Stadt zudem in eine neue Gunst. Mit der Altstadtsanierung wurde sehr viel in ein neues Ambiente investiert, das an die Zeiten vor der Weichenstellung wieder anknüpfen konnte. Die Ehrfucht vor dem so stürmisch gewachsenen Singen ist nicht mehr so groß. Mit einer klugen Eigenentwicklung können sich die alten Zentren Engen wie auch Stockach wieder emanzipieren, zumal das Zeitalter der Industrien sein Ende schon länger eingeläutet hat. Dienstleistungsstandorte brachen nicht mehr die Verkehrswege, die eine produzierende Industrie benötigt. Und so wird sich vielleicht in den nächsten Jahren eine neue Revolution abspielen.

Oliver Fiedler


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