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Radolfzell, ... 1932: 30000 Menschen warteten im Mettnaustadion auf den Mann, der blühende Landschaften in Deutschland verspricht und ein neues Selbstbewusstsein für die Nation zudem: Auf Adolf Hitler. 

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Wie die »braunen Paradiesvögel« die Macht übernahmen

Gegen 11 Uhr dann trat Adolf Hitler ans Rednerpult im Stadion. Inhalte soll es wenig gegeben haben, entnimmt man einer Ausgabe der »Freien Stimme« vom 1. August, die Begeisterung habe sich ebenfalls in Grenzen gehalten.

Die NSDAP hatte es in ganz Baden nicht leicht: Die katholische Mehrheit vor Ort und die NSDAP, das waren zwei Systeme, die naturgemäß nicht zueinander passten. Die Zentrumspartei hatte 1932 in Baden mit 32,1 Prozent einen doppelt so hohen Stimmenanteil wie in ganz Deutschland. Im Oktober 1929 schon war die NSDAP in den Badischen Landtag eingezogen. Und öffentlich zeigte sich die NSDAP mit ihren Anhängern schon 1930: Ende April schrieb der Gailinger Bürgermeister auch im Bewusstsein der lebendigen jüdischen Gemeinde im eigenen Ort an das Konstanzer Bezirksamt, dass rund 30 NSDAP-Anhänger (»Hitlerleute«) in Uniform durch den Ort gezogen seien und wüste Parolen schrien.

Der Bürgermeister forderte, solche Umzüge in Zukunft zu verbieten. 1932 mehrten sich Propagandafahrten der NSDAP per Fahrrad durch den Landkreis, Kundgebungen und eben als Höhepunkt Hitlers Rede in Radolfzell. Am Montag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 formierten sich in Singen Sprechchöre der KPD in den Straßen, doch: Bereits die Belegschaft der Industriebetriebe konnten die Kommunisten nicht zum Streik bewegen. Viele KPD-Wähler schwenkten auch in der Region um auf die andere extreme Seite des politischen Spektrums. Installiert war Hitlers System in der Region trotzdem noch nicht: Als bei einem Winterbasar am 9. Februar jemand »Heil Hitler« in eine Gedenkminute hinein rief, wurde der »braune Paradiesvogel«, wie ein Zeitgenosse schrieb, hinaus befördert. Anfang März wurden in Singen die ersten Häuser durchsucht, neun KPD-Anhänger wurden vorübergehend in Haft genommen. Es kam die Wahl am 5. März: 38,7 Prozent der Singener Wähler entschieden sich für die NSDAP, die Mehrheit war das nicht. Gegen den Widerstand des Bürgermeisters Dr. Kaufmann wehte kurz nach der Wahl die Hakenkreuzfahne am Singener Rathaus. Am 8. März hatte der Gauleiter Robert Wagner in Baden die Polizeimacht, die Gleichschaltungsgesetzte wurden im März und April erlassen. Nur bruchstückhaft sind die folgenden Ereignisse in der Region dokumentiert, deshalb nur einige Beispiele:

In Banken wurden schon im Juni 1933 Betriebsräte installiert, die nur aus NSDAP-Mitgliedern bestanden, in den Betrieben konnten nur noch NSDAP-Vertrauensleute gewählt werden. Mitglieder der Gailinger Zentrumspartei mussten sich 1933 per Erklärung wie anderswo auch dem Nazi-Willen unterwerfen, das Vermögen der SPD-Ortsgruppen im Kreis, der Arbeiterwohlfahrt und vieler Sportvereine wurde von der NSDAP beschlagnahmt. Im Juli desselben Jahres waren die Universitäten gleichgeschaltet und schon im März waren aus den meisten Bibliotheken systemfeindliche Bücher und Zeitschriften entfernt worden. Die Nazis, von den Intellektuellen oft nur als Übergangslösung auf dem Weg zu einem neuen Deutschland gesehen, von vielen Arbeitern nach vielen Versprechen unterstützt und von den Kirchenleuten trotz kritischer Töne unterschätzt, hatten sich installiert. Wer sich ab jetzt auflehnte oder nur nicht beteiligte, musste mit Folgen rechnen: In Nenzingen wurde Pfarrer Stehle in Schutzhaft genommen, weil er den Hitlergruß verweigerte.

In Ludwigshafen versuchte Pfarrer Alfred Spitznagel zwei Ordensschwestern aus Hegne statt einer NS-Schwester mit der Beaufsichtung von Kleinkindern zu betrauen, das wurde dem Stockacher Bezirksamt gemeldet. Zwischen März und Mai 1933 landeten viel Menschen der Region in Schutzhaft, darunter viele Sozialdemokraten und Kommunisten, so zum Beispiel ein Hausener, der nach seiner Festnahme 117 Monate in Gefängnissen und KZs verbringen musste. Über die Schrotzburg bei Öhningen wurden lange Zeit kommunistische Druckschriften aus der Schweiz in Südbaden verteilt. Krach gab es auch lange Zeit zwischen der katholischen Jugend und der Hitlerjugend: Aus Radolfzell sind Streitereien noch aus dem Jahr 1935 bekannt. Kurze Zeit nach den Auseinandersetzungen wurde die Katholische Jugend verboten. Für alle, die sich fügten, kam Kraft durch Freude: In der Scheffelhalle startete 1934 der erste KDF-Abend des Stadttheaters Konstanz.

Anatol Hennig


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