Jahr/Epoche

Info

Vor 1933 gab es in Singen, wie andernorts, eine scharfe Trennung im Vereinsleben, die heute fremd anmutet. Es gab drei Lager: die sogenannten bürgerlichen, meist liberal geprägten, die katholischen und die sozialdemokratischen Vereine. Die Haupttrennlinie verlief zwischen den bürgerlichen und den sozialdemokratischen Vereinen.

Geschichte des Landkreises Konstanz

Die Spaltung in zwei Lager. Die Singener Vereine in den 20er Jahren

Um die Trennung zu verstehen muß man in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts zurück. Die Arbeiter und ihre politischen und wirtschaftlichen Organisationen wurden angefeindet, beschimpft, sozial ausgegrenzt und polizeilich und gerichtlich verfolgt, namentlich unter dem Sozialistengesetz (1878- 1890). Den Arbeitern, die sich dem sozialdemokratischen Lager zugehörig fühlten, blieb gar nichts anderes übrig, als sich in eigenen Vereinen zusammenzutun. Erst nach der Revolution von 1918/19 wurden diese Vereine den bürgerlichen gleichgestellt.

Die Konfrontation aber blieb bestehen. 1922 waren in den bürgerlichen Singener Sportvereinen 720 und in den sozialdemokratischen 420 Mitglieder organisiert. Im gleichen Jahr wies ein sozialdemokratischer Festredner daraufhin, daß es doch unmöglich sei, in einem bürgerlichen Turnverein zu sein, "wenn man tagtäglich mit den Fabrikanten und ihren Helfern um die Hebung der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage, um die Erringung menschenwürdiger Verhältnisse kämpft". Die eigenen Vereine sollten in den Auseinandersetzungen das eigene Lager stärken.

Es gab jedoch auch andere Gründe für die fortbestehende Trennung. Die Arbeitersportbewegung setzte auf Gemeinsinn, kollektive Leistung und körperliche Gesundheit, nicht aber auf Wettkampf, Konkurrenz und Sieg. So ging es zum Beispiel bei den Arbeiterradfahrern um Langsam- und Hindernisfahren, Reigenfahren und Kreisfahren sowie Kunstradfahren, nicht aber um Radrennen. Bei den Turnern symbolisierten die kunstvollen Pyramiden anschaulich die andere Zielsetzung: In einer Menschenpyramide müssen alle zusammenhalten.

Sie klappt nur , wenn sich alle der gemeinsamen Aufgabe widmen. Sie war die turnerische Umsetzung des Solidaritätsgedankens, der für den Erfolg der Arbeiterbewegung notwendig war. Ein dritter Grund für den Fortbestand ergab sich aus der unterschiedlichen Haltung der Sportvereine zum Ausgang des 1. Weltkriegs und zur Rolle des Militärs in Vergangenheit und Zukunft. 1922 erklärte ein Redner, das regionale Sporttreffen der Arbeitersportler werde auch ein Bekenntnis zum Frieden sein, "im Gegensatz zur bürgerlichen Sport- und Turnbewegung, die schon vor dem Kriege im Schlepptau der Kriegspatrioten sich befand und heute von denselben der gleiche Versuch gemacht wird". Für diese Nähe gibt es genügend Belege.

So wurde auf der Generalversammlung des Singener Stadtturnvereins 1911 betont, daß das Turnen für alle jungen Leute nützlich sei, die zum Militär eingezogen würden. "Ein tüchtiger Turner gebe einen tüchtigen Soldaten". Nach dem Weltkrieg stand das Turnen in den bürgerlichen Vereinen zu einem guten Teil im Dienst der Revision der deutschen Niederlage und der Wiedererlangung der deutschen "Weltgeltung". Teile der bürgerlichen Sportvereine gerieten in der Weimarer Republik schon früh ins Fahrwasser der antidemokratischen Feinde der Weimarer Republik. Ihren Höhepunkt erreichte die Arbeitersportbewegung in Singen 1927/28 mit dem Bau eines eigenen Sportplatzes im Schnaidholz. Wenige Jahre später wurde sie wie die gesamte Arbeiterbewegung von den Nationalsozialisten verboten und enteignet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bewegung nicht mehr ins Leben gerufen.

Die Verhältnisse hatten sich verändert. Der wirtschaftliche Aufschwung in den 50er Jahren, die Öffnung der Bildungseinrichtungen in den 60er Jahren haben die sozialen Grenzen abgeschliffen. Die Einbindung der Bundesrepublik in den Westen und die Nato haben einem Wiederaufleben des Militarismus Grenzen gesetzt. Die Sozialdemokratie ist ganz anders als in den 20er Jahren ein unbestrittener Pfeiler des heutigen Staates. Und wenn gelegentlich noch die alte Konfrontationen verbal belebt wird ("bürgerliche" gegen "sozialistisch"), wirkt das eher angestaubt als gegenwärtig . Eine Zielsetzung der Arbeitersportbewegung, nämlich die Förderung von Gemeinsinn und Teamarbeit, ist als Gegenprogramm noch heute aktuell. Sie ist, wie vieles, unter die Räder gekommen, man sollte sie darunter hervorziehen.

Gert Zang


« ... blättern ... »