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In Konstanz werden derzeit großzügig die dauernd überlasteten Zollanlagen im Tägermoos ausgebaut. Die Staus am Kreuzlinger, Emmishofer und Gottlieber Zoll sollen verschwinden. Von der Oberen Laube wird eine neue Straße entlang der Grenze und des Saubachs, der hier die Grenze bildet, zur neuen Zollanlage im Tägermoos gebaut. Zum Bau sind große Veränderungen notwendig: der Saubach muß verlegt und der Grenzzaun am Döbele muß abgebaut werden. Der Grenzzaun ist der alte Zaun vom Döbele, des Konstanzer Festplatzes, zum Gottlieber Zoll, mit dem bösen Namen "Judenzaun". Er wurde im Sommer 1939 gebaut. Er sollte vor allem das unberechtigte Überschreiten der Reichsgrenze unterbinden.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Der Grenzzaun beendete die Freiheiten

Welch eine Gelegenheit. Nun fällt das alte Zeugnis aus einer Welt der Grenzen, der Flüchtlinge, der Grenzwächter, der Jäger und der Gejagten. Ja, er fällt, doch er soll in veränderter Form, etwas niedriger, vor dem Wall wieder aufgebaut werden! Damals wie heute gegen Menschen in Not: Juden, Asylbewerber, (Bürger-)kriegsflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge. Die ersten Anfänge der Schweizer Grenze sind im Ausgang des Schweizer Krieges 1499 zu finden.

Doch erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden wurde die Eidgenossenschaft, zu der Schaffhausen seit 1501 endgültig gehört, Ausland. Die Grenze als solche wurde erst richtig mit Beginn des Ersten Weltkriegs empfunden. Da begann eine Zeit der bewußten Absonderung der Schweizer von den Deutschen. Zuvor war die Grenze zwar Demarkationslinie, aber sie hatte bis 1914 nicht die Bedeutung wie heute. Aus der Schweiz kamen viele Menschen in die Fabriken, die im Hegau errichtet wurden. Deutsche wohnten in der Schweiz. Von den 10.757 Ausländern, die 1910 im Kanton Schaffhausen wohnten, waren 8.047 oder 74,8% Deutsche.

Der Prozentsatz der Deutschen bei Ehen mit Ausländern in der Schweiz lag 1900-1910 bei über 50%. Die Deutschen gingen in die Schweiz zum Einkaufen, 35 Jahre lang war die Apotheke im schweizerischen Buch auch "offiziell" die Apotheke für die Gottmadinger und Randegger, während die Bietinger sich im nahen Thayngen mit Medikamenten versorgten. Kreuzlingen galt als südliche Gartenvorstadt von Konstanz. Milch, Obst und Gemüse aus dem Thurgau wurden auf dem Konstanzer Wochenmarkt verkauft. Die Schweizer kauften Kleidung, Schuhe, Wäsche und Haushaltsartikel in Konstanz, ihrer Einkaufsstadt. Das konnte man auch recht problemlos machen, denn z.B. die Kreuzlinger Gemeindebeamten erhielten einen Teil ihrer Besoldung in deutschem Geld ausbezahlt. Es bestand ein fester Wechselkurs 1 Mark = 1,25 Sfr.

Badische Eisenbahner wohnten in der Schweiz, Schweizer Zöllner in Konstanz. Schweizer Kinder gingen auf Konstanzer Schulen und die Narrenumzüge beider Städte pas-sierten ungehindert die Grenze. Die Soldaten der Konstanzer Garnison waren in der Schweiz in Uniform anzutreffen. Um das Idyll des fast grenzenlosen Bodenseegebiets gar voll zu machen: Vor dem Ersten Weltkrieg trafen sich alljährlich die Offiziere aus den fünf Uferstaaten des Bodensees. Es ging feuchtfröhlich zu. Zitat der Schriftstellerin Lilly Braumann-Honsel: "Es war ein Männerfest mit Männerreden und Männertrunk und Verbrüderung. Arm in Arm, oft in vertauschten Uniformen, zogen die Offiziere durch die festlich geschmückten Straßen ins Kasino." Die Zeit der vertauschten Uniformen war 1914 vorbei: Das Grenzgebiet wurde durch einen Sperrgürtel vom Landesinnern abgeschottet. An der Grenze war der Kriegszustand deutlicher zu spüren als im Landesinnern. Die Grenze zur Schweiz wurde dicht.

Nun durfte man nur noch mit amtlichem Passierschein die Grenze passieren und in Gottmadingen standen im Herbst 1914 alle 100 bis 200 Meter Männer entlang der Grenze - weniger zum Schutz der Grenze als zum Abfangen von Flüchtlingen. Die Grenzwächter waren teilweise von Hunden begleitet. Die Grenze sollte sich bis heute nie mehr so durchlässig zeigen, wie sie vor 1914 war. In den zwanziger Jahren verhinderten die Inflation und die großen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz eine Durchlässigkeit. Mißtrauen statt Offenheit war angesagt. Die Deutschen mißtrauten den Schweizern, die in der Inflation mit ihren harten Franken die deutschen Läden leerkauften: Maschinen und Ackergeräte, Schuhe und Kleidung, aber auch die knappen Lebensmittel wurden von ihnen aufgekauft. Argwohn, ja Haß kam auf: "Vielfach benahmen sie (die Schweizer) sich sehr unanständig und jedenfalls als Nachkommen Wilhelm Tells und dessen Zeitgenossen oft sehr unwürdig", bemerkte der Gottmadinger Ortschronist. Die Schiebereien von Vieh verschärfte die Fleischknappheit in Deutschland. Damals bewegte sich manchmal eine seltsame Prozession zum Grenzstein an der Grenze von Gottmadingen nach Buch: die Stumpenprozession.

Die Gottmadinger kauften Zigarren am Grenzstein von Schweizern, die sie mit Gewinn im Dorf weiterverkauften. Der Ortschronist: "Sogar Leute der besten Stände beteiligten sich an der Stumpenprozession" und mußten sich in Doppelreihen aufgestellt "ohne der geringsten Widerrede den Befehlen und Anordnungen der Schweizer Grenzwache fügen", berichtet der Ortschronist von Gottmadingen. Der Prozentsatz der Deutschen unter den Ausländern in der Schweiz sank kontinuierlich seit 1914. Die persönlichen Beziehungen - von Mensch zu Mensch - nahmen ab. Auch die Zahl der deutsch-schweizerischen Ehen nahm absolut und relativ zu den Ausländerehen ab. Der Ton an der Grenze hatte sich verändert, es wurde "unpersönlicher". 1914 war der tiefste Einschnitt. In den zwanziger Jahren normalisierte sich die Lage. Aber es wurde undenkbar, daß Offiziere der Reichswehr oder später gar der Wehrmacht untergehakt mit Schweizer Offizieren durch Kreuzlingen wankten.

Wolfgang Kramer


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