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Die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges brachten in einzelnen Gegenden Deutschlands eine Dezimierung der Bevölkerung. Zu den stark betroffenen Gemeinden gehörten auch die badischen Dörfer Randegg, Worblingen, Wangen und Gailingen. Vorderösterreich, unter dessen Herrschaft diese Dörfer standen, erlaubte deshalb, daß sich Juden hier niederlassen durften.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Entstehung, Blüte und gewaltsames Ende der Gailinger Judengemeinde

Im Jahre 1657 trafen mit Zustimmung der Freifrauen von Reinach zu Randegg und Gailingen die ersten jüdischen Familien, die wahrscheinlich aus dem Vorarlbergischen stammten, in Gailingen ein. Die Familiennamen der ersten Gailinger Juden lauteten Neuburger, Ullmann und Dreifuß. Ein Schutzbrief sicherte den Juden zu, daß sie sowohl privat als auch öffentlich ihre Zeremonien abhalten konnten.

Eine vielfache Besteuerung zwang sie dazu, umsichtig Handel zu treiben, um diese beträchtlichen Abgaben auch aufbringen zu können. Im Jahre 1734 waren in Gailingen 18 jüdische Familien wohnhaft, bis zum Jahre 1820 steigerte sich die Zahl der Familien auf 140. Im Jahre 1858,während der Blütezeit der jüdischen Gemeinde, wohnten in Gailingen 996 jüdische Einwohner neben 982 Katholiken, also rund 1000 Juden und 1000 Katholiken.

Schon im Jahre 1676 wurde zur gegenseitigen Hilfe die Bruderschaft Chewra Kaddischa gegründet, eine wohltätige Einrichtung, die vor allem den edlen Zweck verfolgte, Kranken und Armen Liebesdienste zu erweisen und den Toten eine würdige Ruhestätte zu bereiten. Am Westende des Dorfes entstand in der Folge ein israelitischer Friedhof. Die gesellschaftliche Lage der Juden verbesserte sich während des 19. Jahrhunderts entscheidend. Im Jahre 1862 erfolgte dann die bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den christlichen Staatsbürgern. Während in der allerersten Zeit das Verhältnis der beiden Gemeinschaften noch gespannt war, entwickelte sich im Laufe der Zeit ein gegenseitiges Vertrauen. So wählte beispielsweise die Bevölkerung Gailingens im Jahre 1870 den Juden Leopold Guggenheim zu ihrem Bürgermeister, und im Jahre 1877 wurden die bisher getrennt geführten Konfessionsschulen zu einer Simultanschule vereinigt, was von einer toleranten und fortschrittlichen Einstellung der Gailinger zeugt. Seit der bürgerlichen Gleichstellung der Juden im Jahre 1862 waren bis zu Beginn des Nazi-Regimes jüdische Bürger auch im Gemeinderat und im Bürgerausschuß vertreten.

Die christliche Jugend lernte das Westjidisch, und es entstand ein musterhaftes kulturelles Gemeindeleben, das, von Einzelfällen abgesehen, durch ein gutes Einvernehmen der beiden Gemeinschaften auch innerhalb der zahlreichen Dorfvereine dokumentiert wurde. Eine noble Toleranz achtete die jeweiligen religiösen Sitten und Bräuche. Nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich im Jahre 1870/71, an welchem auch Gailinger Juden mit ihren christlichen Kameraden vom Ort teilnahmen, gründete der jüdische Bürger Ludwig Rothschild in Gailingen einen Kriegerverein. Im Jahr 1891 wurde im Ort ein jüdisches Krankenhaus eingerichtet, dessen Leiter Dr. Kalmann Heilbronn und später dessen Sohn Dr. Sigmund Heilbronn war, und im Jahre 1898 wurde ein jüdisches Altersheim eröffnet, welches nach dem badischen Großherzog den Namen "Friedrichsheim" erhielt. Nach 1862 gab es eine langsame Abwanderung jüdischer Einwohner in größere Städte, dann nach der Schweiz und schließlich auch nach Amerika.

Zu Beginn des Dritten Reiches zählte Gailingen noch 314 jüdische Einwohner. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges waren neben 47 christlichen Gailinger 14 jüdische Bürger Gailingens gefallen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde die jüdische Gemeinde jäh und gänzlich zerstört. Eine unbeschreibliche Leidenszeit für die Gailinger Juden begann. Im Jahr 1938 wurde die Synagoge gesprengt und angezündet und der Rabbiner der Gemeinde, Dr. Mordechai Bohrer, ins KZ Dachau verschleppt, wo er starb. Im Jahre 1940 wurden 210verzweifelte jüdische Einwohner nach Südfrankreich und nachher in die Vernichtungslager im Osten transportiert, wo sehr viele den Tod fanden. Damit hatte das fast 300jährige jüdische Gailingen aufgehört zu existieren.

Detlef Girres


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