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Die Hohentwielstadt hat vom Bombenkrieg des 2. Weltkrieges mit nur 6 Angriffen zwischen dem 17.10.1944 und dem 21.4.1945 glücklicherweise wenig abbekommen, wenngleich nahezu 40 Tote zu beklagen waren. Nach allen bisher gesammelten Informationen kann man davon ausgehen, daß im Gegensatz zu anderen Industriestädten die Singener Rüstungsunternehmen MAGGI, Georg Fischer und Aluminium-Walzwerke - und damit auch deren Umfeld - nur deshalb verschont geblieben sind, weil diese Unternehmen zum schweizerischen Kapital gehörten. Vorliegende Luftaufnahmen der amerikanischen Air-Force vom Frühjahr 1945 beweisen, wie exakt dort die Industriebetriebe in den Luftaufnahmen verzeichnet sind. 

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Statt Frieden auf Erden - Bomben auf Singen

So galt also auch der stärkste Angriff auf Singen - ausgeführt am 1. Weihnachtsfeiertag 1944 - ganz eindeutig dem Eisenbahnknotenpunkt Singen und nicht der Singener Industrie.

Aus dem vorliegenden "endgültigen Einsatzrapport Nr. 436 der 320. US-Bombergruppe" geht hervor, daß an diesem 25. Dezember 1944 um 12.23 Uhr 38 amerikanische Bomber des Typs B 26 von ihrem Stützpunkt Dijon in Frankreich gestartet waren mit dem klaren Auftrag, die "Eisenbahnbrücke Singen" (gemeint ist die Brücke über die Rielasingerstraße / Hauptstraße) zu zerstören. Flugkommandant war der US-Oberst Woolridge, Führungspilot war Hauptmann Merril. Der Anflug von Dijon aus erfolgte über Belfort, Schopfheim, Faulenfürst, Bonndorf und ein erster Anflug auf Singen erfolgte dann um 14.20 Uhr vom Ausgangspunkt westlich von Blumenfeld. Nach einer Schleife zurück zum Ausgangspunkt Blumenfeld kehrten die B 26-Bomber erneut nach Singen zurück und warfen 104 Sprengbomben mit je 1000 Pfund auf das Ziel Eisenbahnbrücke Singen. Alle Maschinen sind um 15.10 Uhr wieder in Dijon gelandet. In nüchterner Militärsprache heißt es dann im Protokoll: "Ein ausgezeichnetes Muster von Bomben bedeckte das Ziel, darunter auch Volltreffer !"

Die betroffenen Menschen am Boden erlebten diesen sonnig-kalten Weihnachtsfeiertag völlig anders und der Verfasser lebte als Zehnjähriger damals nur wenige Häuser von der Eisenbahnbrücke entfernt. Kurz nach 14.00 Uhr brüllten Sirenen ihr kaltes, schauriges Lied über die Stadt:Fliegeralarm! Wie vorgeschrieben und eingeübt gehen die Bewohner in ihre Luftschutzkeller - trotz Feiertag! Gegen 14.30 Uhr ein schauriges Heulen über der Stadt: herabstürzende Bomben. Jemand von den Erwachsenen beginnt zu beten, wir Kinder schließen uns an. Es beruhigt und es ist der einzige Trost in dieser Dunkelheit und in dieser Angst.Nach dem Angriff ist man glücklich, daß alle Familienangehörigen am Leben sind. Aber dann kommt die bittere Erkenntnis, daß in unmittelbarer Nähe 37 Menschen, unter ihnen auch mehrere Kinder, getötet und 58 Mitbürger schwer verletzt wurden; 450 Singener waren obdachlos geworden.

Und immer wieder die Frage: Warum so etwas an diesem Tag, der doch Friede auf Erden verkündet! Was erinnert heute noch an diesen dramatischen Weihnachtsfeiertag 1944. Draußen auf dem Singener Waldfriedhof sind die meisten der Toten bestattet worden, dort am Ehrenmal, wo auch die gefallenen Soldaten liegen. Die Berichterstattung über den Krieg im Kosovo, das Heulen der Sirenen, die Trümmerbilder, die herumliegenden Toten, haben Vieles aus der Erinnerung wieder wach werden lassen. Für die damals Unbeteiligten sind nur noch Splitterspuren an der kleinen E-Station direkt an der Eisenbahnbrücke an der Rielasingerstraße zu sehen, und dort, wo das zerstörte Gasthaus zum Schützen einmal stand, hängt am heutigen Parkhaus an der Julius-Bührer-Straße zur Mahnung und Erinnerung eines der abgeworfenen Bomben, ein Blindgänger, der dort nach dem Kriege gefunden und entschärft wurde.

Und die amerikanischen Piloten, die damals als Zwanzigjährige den Einsatz Nr. 436 der 320. Bombergruppe geflogen und die tödliche Last über Singen abgeworfen haben ? Haben sie eine Erinnerung an dieses Geschehen, wenn Weihnachten ist? Oder berufen sie sich einfach auf den Befehl, den sie ausgeführt hatten? Der US-Pilot Hartwell Davis, der am Kommando beteiligt war, versehentlich aber mit seiner Staffel die Bomben über dem schweizerischen Thayingen abwarf, bekannte einem Journalisten gegenüber im Jahre 1984: "Immer wenn Weihnachten kommt, denke ich daran !"

Wilhelm J. Waibel


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