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Nicht ganz endete die jüdische Gesicxhte mit dem Abtransport in die Vernichtungslager Nach Kriegsende 1945 strömten jüdische Überlebende aus den KZ-Lagern Süddeutschlands wie Dachau, Heuberg, Überlingen in größerer Zahl in den Kreis Konstanz. Die französische Besatzungsbehörden nahmen diese Flüchtlinge als Privilegierte auf. In der Behördensprache der Vereinten Nationen und des Militärs wurden diese Menschen, die im Zuge des Krieges zwangsverschleppt oder ihrer Heimat beraubt worden waren, "Displaced Persons", abgekürzt DPs, genannt. Im Gebiet des Kreises Konstanz befanden sich einige hundert DPs, meist jüngere polnische Juden die beabsichtigten, so schnell wie möglich nach Palästina auszuwandern. In Konstanz wurden sie zunächst im früheren jüdischen Gemeindehaus Sigismundstraße 21 untergebracht. Das ehemalige Judendorf Gailingen wurde in der Folgezeit ebenfalls Durchgangsstation für hunderte jüdischer DPs, von denen im Dezember 1945 die ersten im ehemaligen jüdischen Altersheim untergebracht wurden.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Gailinger Kibbuzim als Durchgangslager für Palästina-Auswanderer

Die Verwaltung der Lager erfolgte durch die UNRRA, einer Hilfsorganisation der Vereinten Nationen. Bis zum Sommer 1946 schwoll der Flüchtlingsstrom jüdischer DPs in Gailingen an. Weitere sogenannte "Kibbuzim" wurden eröffnet. Zum 1.7.1946 registrierte der Polizeiposten Gailingen vier Unterbringungsstellen mit insgesamt 276 jüdischen DPs: Im Friedrichsheim, Kibbuz "Hachschara" (Vorbereitung), im ehemaligen jüdischen Krankenhaus, Kibbuz " Moledeth" (Heimat), in Schloß Rheinburg , Kibbuz "Dror" (Freiheit) und im ehemaligen jüdischen Schulhaus, Kibbuz "Haganah" (Schutz).

Gailingen war in kurzer Zeit wieder zu einem jüdischen Zentrum geworden. Nach dem Vorbild junger europäischer Zionisten der 20er Jahre, die sich in Gemeinschaftseinrichtungen und landwirtschaftlichen Lehrzentren auf ihre Auswanderung vorbereitet haben, lernten die Bewohner der vier Gailinger Kibbuzim modernes Hebräisch, erarbeiteten sich, in der dafür requirierten alten Turnhalle, handwerkliche Fertigkeiten und hatten im Kibbuz "Dror" auf Schloß Rheinburg Unterricht in Landwirtschaft. Ebenso war sportliche Betätigung als Training für militärische Einsätze angesagt. In geordneten Formationen zogen die DPs Lieder singend durch die Straßen Gailingens. Die Versorgung der Kibbuz-Bewohner mit Lebensmitteln erfolgte mittels Liebesgabenpakete von jüdischen, amerikanischen und schweizerischen Wohlfahrtsvereinigungen, aber auch von Seiten der französischen Besatzungsmacht. Eine medizinische Betreuung der DPs zur Wiedererlangung ihrer Gesundheit erfolgte durch Ärzte des Singener Krankenhauses und eines Gottmadinger Zahnarztes.

Im Frühjahr 1947 verliessen illegal über Nacht die im ehemaligen jüdischen Schulhaus untergebrachten ungarischen Juden Gailingen, vermutlich mit dem Ziel Palästina. In folgenden Jahren fanden in den Gailinger Kibbuzim Hochzeiten statt und die Geburt eines jüdischen Jungen wurde freudig gefeiert. Vielfältig gab es auch Kontakte zwischen der Gailinger Bevölkerung und den jüdischen Displaced Persons. Gailinger Frauen nähten für jüdische Familien, hüteten deren Kinder und ansässige Handwerker reparierten die Kibbuz-Gebäude und Einzelhändler belieferten die Lager. Aber auch negative Vorfälle gab es zu registrieren.

Zwischen Zionisten und jungen Gailingern, ehemaligen Wehrmachtsoldaten, kam es nach Provokationen zu Rempeleien und Handgemengen. Die samstäglichen Tanzabende der Einheimischen im "Hirschen", an denen auch Kibbuz-Bewohner und Angehörige der französischen Besatzer teilnahmen, arteten regelmäßig in Schlägereien aus.

Der Schwarzhandel und die Tauschgeschäfte der mit Lebensmitteln bestens versorgten DPs nahmen enorme Ausmaße an. Die Lebensart der osteuropäischen Juden war wohl den Gailingern fremd, denn laut der offiziellen Kreisbeschreibung bat das Bürgermeisteramt Gailingen höheren Orts, der Gemeinde badische Juden zuzuweisen. Mit der zunehmenden Lockerung der Einreisebestimmungen in die USA und vor allem mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 leerten sich auch in Gailingen die jüdischen DP-Lager. 1950 schloß als letzter der Kibbuz "Hachschara" im Friedrichsheim seine Pforten. Jüdisches Leben in Gailingen, kurz noch einmal aufgeflammt, ging ein zweites Mal, und wohl für immer, zu Ende.

Detlef Girres


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