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Die Rückblende: Am 1. Oktober marschieren die russischen Truppen in dem Ort Stefansfeld ein. Stefansfeld, eine vom Reißbrett entworfene Gemeinde, die vor rund 200 Jahren entstand, liegt im Banat, jener Tiefebene zwischen Donau und Theiss, wo sich damals dem Ruf Kaiserin Theresas folgend viele süddeutsche in die nach der 164jährigen Herrschaft des Osmanischen Reichs entvölkerten und zerstörten, aber fruchtbaren Ebene mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft niederließen und gleichzeitig zum politischen Instrument wurden. Dieses Gebiet gehört zum heutigen Jugoslawien. Hier lebte der damals knapp elfjährige Franz Ziwey.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Zu Fuß in eine neue Heimat gelaufen

Die deutschen Besatzer, die hier 1941 einmarschierten, planen zwar die Rückführung der Donauschwaben zurück ins Deutsche Reich, doch der Vormarsch der gegnerischen Armeen lässt es nicht mehr dazu kommen, obwohl die Pferdefuhrwerke für den Abtransport schon bereitstanden. Eine Odyssee begann für die Familie Ziwey.

Im November übergaben die Russen die politische und militärische Macht des Gebiets an Jugoslawien, mit einem Sondergesetz wurden den hier lebenden Donauschwaben alle staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und deren Vermögen eingezogen. Junge Frauen wurden nach Russland deportiert um in Lagern zu arbeiten, Alte und Kinder wurden in Konzentrationslagern interniert. Auch Franz Ziwey kam in eines dieser Lager, von Herbst 1944 bis 1947 war es nicht mehr möglich, eine Schule zu besuchen. Weil der Hunger ihn und seine Freunde antrieb, floh er oft Nachts aus dem Lager, um sich bei Tagesmärschen in den ungarischen Nachbardörfern etwas essbares zu suchen oder zu erbetteln. "Mein ganzes Leben bestand für mich damals darin, nicht zu verhungern", sagt Franz Ziwey heute, mit einem Abstand von über 50 Jahren darüber. Eine Zeit lang verbrachte er sogar in einem Vernichtungslager. Im Juni 1947 gelingt die Flucht mit der Mutter und dem jüngeren Bruder über die Ungarische Grenze. Irgendwie treffen sie ihren Vater dort wieder, der dort in der Pußta arbeitete. Nun musste eine neue Heimat gesucht werden. Fast einen Monat ging die Flucht zu Fuß durch ganz Ungarn bis ins Burgenland. Jeden Tag soweit laufen, bis man nicht mehr kann. Von dort mit der Eisenbahn in ein Sammellager nach Kärnten. Doch das war noch nicht die Heimat.

Im August 1949 kam die zweite Flucht. Die Enge im Lager hielten die Ziweys einfach nicht mehr aus. Illegal von Österreich über Salzburg nach Deutschland bis in ein Auffanglager bei Balingen. Eine Lüge öffnete den weg. Alle sagten sie hätten keine Papiere mehr, obwohl es einen österreichischen Flüchtlingspass gab.(Franz Ziwey hat ihn noch heute.)Doch den zeigte man nicht. _Es war wie heute: die Flucht ging über Österreich durch ein Drittland. Was das bedeutet, kennen wir ja von der Asyldiskussion der letzten Jahre. Als Flüchtling würde man auf diese Weise nicht mehr anerkannt. In Balingen wurde der Familie Spaichingen als Wohnort zugewiesen. Das war nun die zweite Heimat. Drei Wochen später tritt das Grundgesetz in Kraft. Das beendet die Staatenlosigkeit des Franz Ziwey, er ist nun deutscher Volkszugehörigkeit gleichgestellt. Die reguläre Deutsche Staatsangehörigkeit erhält Franz Ziwey im Jahr 1955. Doch erst mal die Schule: Er war drei Jahre älter als all seine Mitschüler, musste die lange Zeit des Überlebenskampfes nachholen. Anfangs wurde er bestaunt, aber doch schnell akzeptiert.

"Ich habe mich rasch eingegliedert." - Und das aus einem einfachen Grund: "Wir wussten alle, dass unsere Heimat für immer verloren war. Jeder von uns war froh, dem kommunistischen System und der Vernichtung entkommen zu sein. Schnell bauten sich die Donauschwaben ihre Häuser. Franz Ziwey, von Kind auf durch eine Hüftverengung behindert, entschied sich für den Verwaltungsdienst. Am 5. Mai begann nach der theoretischen Ausbildung auf der "Haigerlocher Schule" die praktische Ausbildung auf dem Rathaus in Spaichingen wo auch Erwin Teufel, mit dem Franz Ziwey trotz seinem Bekenntnis zu den freien Wähler noch immer Verbunden ist. 1958 ist er Oberinspektor, geht 1963 in Landratsamt Rottweil und 1965 wieder als Kämmerer zurück nach Spaichingen. Dann kommt die dritte Heimat, in der Franz Ziwey heute noch lebt. 1969 wird die Stelle des Stockacher Bürgermeisters ausgeschrieben. Nach einer Ortsbesichtigung ist ihm schnell klar, das will er hin. Und er schafft es, ohne eine Lobby im zweiten Wahlgang tatsächlich. Er blieb Bürgermeister bis 1993. Die Gegenwart: In den letzten Wochen hat Franz Ziwey mit sehr gemischten Gefühlen die Nachrichten im Fernsehen geschaut. Die Erinnerungen werden wieder lebendig.

Ein halbes Jahr verbrachte er als Junge in einem Konzentrationslager in Kosovska Mitrovica, jener Region die heute wieder von Krieg, Ausrottung und Vertreibung in einem ähnlichen Muster wie damals betroffen ist. Dort hat sich gegenüber seinen Eindrücken aus der Jugend nichts geändert. Sein Heimatdorf war ab 1947 keine Siedlung der Donauschwaben mehr. Franz Ziwey aber mit seiner Familie ist die Flucht gelungen. Die Stadt Stockach hat sich übrigens immer sehr um die Integration von Aussiedlern und Spätaussiedlern bemüht.

Oliver Fiedler


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