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Als er nach Singen kam, hatte die Stadt unter dem Hohentwiel genau 24.412 Einwohner. Als er 1981 das Amt verlor, gab es 45.902 Singener. Die Stadtteile waren hinzugekommen, dennoch hatte der Stadtoberbaudirektor alles im Griff. Hannes Ott war vielleicht der letzte Generalist im Amt, eine Städteplaner, der den rechten Winkel stets im Gepäck hatte. Das Wachstum der Stadt war enorm. Jahre später gab es den Bannstrahl des Städteplaners und seines Oberbürgermeisters in die Nachbarschaft: Die Angst vor Singen sei die Angst vor geordneten Verhältnissen!

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Mit dem rechten Winkel Singen verdoppeln

Das mag der Horrortag für eine Gemeinde wie Rielasingen-Worblingen gewesen sein: Plötzlich sollte die Bauhoheit von Singen ausgehen. Die Singener übernahmen den Ortsbaumeister in den späten 70er Jahren. Irgendwann verlief diese Phase der Verwaltungsreform im Sande. Doch der Schock blieb: Ott als Planer für Rielasingen? Das hätte das Dorf nicht verkraftet.

Zum Glück kam auch Nachfolger Rüdiger Neef in die Nachbargemeinde. Hannes Ott war ein Mythos schon zu Lebzeiten. Er verkörperte den Glauben an die planbare Stadt. In den 50er Jahren leistete er Pionierarbeit, in den späten 60er Jahren spürte er den Gegenwind. In den 70er Jahren erntete er den Ruhm für seine Basisarbeit, um 1981 in wenigen Stunden das Amt zu verlieren. Der 1921 geborene Mannheimer Hannes Ott symbolisierte wie kein anderer den Machbarkeitsglauben, der heute wieder Renaissance hat. Er gehörte zu der Generation, die viele Hoffnungen im Krieg begraben hatte. Doch jetzt wollten viele Utopien verwirklichen. Ott ist Mannheim! Der rechte Winkel dieser Traditionsstadt hat sich ihm eingeprägt. Nur war Singen keine Traditionsstadt, eher verwinkelt und häufchenweise besiedelt. Ott hatte Städteplanung im neuen Kontinent kennengelernt. Brasilia sollte seine Maxime werden. Eine Hauptstadt aus der Retorte zu bauen, das muss für ihn eine grandiose Vision gewesen sein.

Warum dies nicht in Singen tun? Zwei Ott-Kenner haben es immer wieder deutlich gesagt: Ott hatte seine Vorstellungen von der Stadt und realisierte sie je nach politischer Anforderung. Der langjährige Stadtrat Emil Sräga, der drei Fraktionen diente (BHE, CDU und Freie Wähler), sagte es immer wieder: Ott hatte für jedes Problem immer einen Plan in der Schublade. Der Gemeinderat musste nur fordern. Thomas Wittenmeier, der in der dreibändigen Singen-Monografie die Stadtplanung durchforstete, sieht es ähnlich: Ott hatte in den 50er Jahren eine Vision von der Stadt, die er je nach Bedarf realisierte. Und von seinen Visionen überzeugte er alle Welt. Singen sollte noch in den 70er Jahren eine Stadt mit 100 000 Einwohnern werden. Allein der Stadtteil Friedingen sollte 10 000 Einwohner bekommen. Auf diese Projektion hin wurden viele Planungen ausgelegt.

Ein Problem war die Verkehrsplanung. Dass Oberbürgermeister und Landtagsabgeordneter Theopont Diez die Autobahn nach Singen brachte, verrät im Hintergrund den Planer Ott. Dieser wirbelte mit Tangenten und Zubringern um sich, dass es selbst wohlmeinenden Freunden zuviel wurde. Singen sollte eine autogerechte Stadt werden, war eine seiner Visionen. Doch da spielten andere nicht mit. Ott hatte durchaus Hintergründe wie die Bauhaus-Schule. Was er an Flächennutzungsplanung großflächig betrieb, hatte einen Minimalismus auf der anderen Seite zur Folge. In den 70er Jahren hielt er einmal im "Lamm" vor dem City Ring einen Vortrag über Stadtplanung. Da beschrieb er ein Schlafzimmer: Zwei Betten macht 2 mal 2 Meter; rechts und links ein Nachttisch mit 50 Zentimeter Breite, macht drei Meter. Ein Schrank dazu und ein Durchgang: Mit zwölf bis 14 Quadratmetern Fläche war ein solches Zimmer zu planen. Die Zuhörer staunten. Hannes Ott, das war Stadtplanung als Dienstleistung verstanden. Ott liebte die Grundlagen und wusste, was in welcher Reihenfolge zu bewältigen war. In winterlicher Landschaft bin ich seinem VW-Käfer in den 70er Jahren auf der Strecke des Ostsammlers II gefolgt. Dieser war nötig, um das ganze heutige Industriegebiet bis zum Kompostwerk zu erschließen. In offener Landschaft erklärte Ott seine Visionen. Schwer zu verdauen war es allemal. Heute steht das Gebiet so, wie es Ott in Gedanken entworfen hat! Ott konnte sparen. Das hat viele Leute in der Stadt genervt. Bei den Sozialwohnungen im Langenrain drehte er jeden Steuerpfennig in den 60er Jahren dreimal um. Die Einheitsschulen mit den Einheitskacheln riefen früh die Kritiker auf den Plan. Als das Wachstum stagnierte, wollten die Bürger mehr Lebensqualität. Viele hatten einen anderen Geschmack als Ott, der als Vater des Rathauses sich selbst ein Denkmal gesetzt hat. Das Sport-und Freizeitzentrum mit Großstadtzuschnitt blieb ein Traum. Das Schwimmbad bei Überlingen am Ried blieb Makulatur im Eingemeindungsvertrag. Das Hallenbad hatte eine Bahn zu wenig. Der Bruderhof musste abgebaggert werden. Ott hatte schwere Jahre zu überstehen. Als 1969 Friedhelm Möhrle Theopont Diez im Wahlkampf besiegte, war Ott Ballast für Diez gewesen. Doch unter Möhrle wurde der viel Kritisierte stärker denn je. Möhrle lebte den Fortschritt und die Visionen. Er ließ Ott bauen. Und der baute munter weiter. Für viele Dinge hat Ott die Voraussetzungen geschaffen. Wenigstens hat er uns breite Straßen hinterlassen, sagen viele Stadtplaner von heute. Rückbau ist leichter als Verbreiterung. Ott war Dienstleister für die Industrie. Ihren Flächenbedarf notierte er schnell. Höhere und stets wachsende Gewerbesteuereinnahmen brauchte die Stadt. Das war ihr Motor. Der Knick und der Bruch mit Möhrle kam im Bruderhof. Dort hatte Ott für einen neuen großen Stadtteil ein Kerngebiet vorgesehen. Abraham Wollhändler (heute noch Besitzer der Stockacher Rathäuser) wollte darauf einen Supermarkt bauen. Ott erklärte seinen Bebaungsplan gegenüber der dortigen Bürgerinitiative selbst als fehlerhaft. Das war mit Möhrle nicht zu machen, der den gesundheitlich angeschlagenen Ott in den Ruhestand schickte. Zwei Jahre später starb der Singener Stadtplaner. Ott hätte gewiss mehr in der Region realisieren können. Was wäre gewesen, wenn er eine andere Stadt zur Überplanung bekommen hätte? Er war ein Mann, der Hauptstädte wie Brasilia bauen wollte. Das haben viele Singener nicht verstanden. Sie lebten lieber weiter in der Kleinstadt unterm Twiel und verzichteten auf einen Flughafen bei Bohlingen. Ott hätte alles realisiert. Das war nämlich sein Job.

Hans Paul Lichtwald


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