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Vor 40 Jahren schrieb der damalige Ministerpräsident Curth Georg Kiesinger auf dem Singener Tannenberg am Rande einer Bauernkundgebung dem Konstanzer Landrat Ludwig Seiterich auf einen Zettel: Wenn weitere Universitätsgründungen im Lande notwendig seien, werde er Konstanz vorschlagen. Das war am 6. September 1959. Heute weiss man, dass die Überlegungen bei Kiesinger schon weiter gediehen waren. Diese Bodensee-Region sollte neue Impulse bekommen, nachdem sie vor allem auch kulturell immer mehr an den Rand gedrängt war. Ein weiterer Aspekt: altbadische Unruhen gab es immer noch, die in den Volksentscheid von 1971 mündeten. Auch da wollte Kiesinger offenbar ein Signal setzen.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Harvard am Bodensee blieb immer ein Traum

Einen Mitstreiter hatte er von Anbeginn, den Singener Oberbürgermeister Theopont Diez, der bis 1972 auch Landtagsabgeordneter war. Als die Universität 1972 führungslos vor dem völligen Scheitern des Reformkonzepts stand, führte Diez als "Staatskommissar" in ruhigere Gewässer. Diez war wie Kiesinger von einer historischen Dimension getrieben: 500 Jahre hatte es keine Universitätsgründungen mehr im Südwesten gegeben.

Mit Konstanz wurde einer alten Metropole im Heiligen römischen Reich deutscher Nation wieder der nötige Stellenwert zuerkannt. Bei der Grundsteinlegung machte Kiesinger am 21. Juni 1966 nochmals deutlich, dass hier eine Reformuniversität als Modell entstehen soll. Andere sprachen schon von Klein-Harvard am Bodensee. Das Wort von der "Eliteuniversität" machte Schule. In Konstanz sollten Fakultäts-und Fachgrenzen überwunden werden. Der Gründungsbeschluss von 1961 sollte aber bald in einer fast revolutionären Konfliktlage enden.

Der spätere Rektor Horst Sund, schrieb später, es habe am Anfang eine enorme Diskrepanz zwischen Erwartung und Ergebnis gegeben. Dennoch sei viel für die ganze Hochschullandschaft in Deutschland bewirkt worden. Angefangen hat die Uni im Insel-Hotel, wo der Rektor mit den ersten Doktoranden residierte. Hier stand die Uni-Bibliothek, die der Sonnenbühl gebaut war. Da kamen 1968 die ersten Erstsemester an die Uni Konstanz. Das war die absolute Nähe von Professoren und Studenten. Es gab kleine Fachbereichshäuser, in den die Büroräume ebenso wie Seminarräume waren. 20 Studenten in einem Seminar waren durchaus üblich. 1970 begann der Einzug auf dem Gießberg. Die Uni wuchs. Waren am Anfang 3000 Stunden das Ziel, so waren es bald 6000, die Höchstzahlen liegen bei 9000 Studierenden. Die Gründungsväter, zu denen auch Arno Borst gehörte, wollten keine herrschaftliche Architektur haben. Die Uni sollte einem Industriebetrieb gleichen. Diesen Gedanken nahm auch mannigfaltig die Kunst am Bau auf. Die großen Männer der ersten Stunde waren die Freunde Waldemar Besson und Ralph Dahrendorf. Der Konservative und der Liberale wollten gesellschaftliche Perspektive neu definieren. Bessons Tod im Jahr 1971 war ein Schock an der jungen Universität.

Ein Vermittler zwischen Uni und Welt draußen fehlte plötzlich. Gründungsrektor Gerhard Hess, der auf Lebenszeit eingesetzt war, legte 1971 sein Amt nach der Häufung härtester politischer Konflikte nieder. Sein späterer Nachfolger Bernd Rüthers erinnert sich: Die später als verfassungswidrig erklärte Drittel-Parität in den Universitätsgremien gehörte zu den Gründungs-Essentials. Daraus wurde eine Volksfront-Koalition an der Uni. Sozialdemokraten und Spartakus stellten den neuen Rektor. Bei Personalfragen wurden, so Rüthers, "vorformulierte Fragenkataloge kommunistischer Gruppen zur Gesinnung der Bewerber" in öffentlicher Befragung an der Union durch einen liberalen Dekan zugelassen. "Berufsverbote" gegen Kommunisten waren das große Thema an der Uni. Parallel gelangte es aber einer breiten Front von Junger Union, Studentengemeinden, Liberalen und Sozialdemokraten in Urabstimmung den ersten deutschen SDS-Asta wegen Untätigkeit abwählen zu lassen.

Der Kampf um den richtigen politischen Weg der Linken mündete in staatliche Eingriffe und den Generalstreik an der Uni. Die Polizei war ständig auf dem Campus. Die Provokation wurde zum Alltagsgeschäft. In dieser Situation trat Theopont Diez 1972 an, um den Karren wieder frei zu machen. Er schaffte es, weil er den offenen Dialog mit allen Gruppen führen konnte. Als Präsident der Freunde der Universität arbeitet er zeitlebens an der Verzahnung der Union mit der Region. Die Uni war als idelogische Spielwiese ins nächste Jahrtausend gescheitert. Als Bildungseinrichtung bekommt sie beste Noten. Zwei Modelle konnten sich nie richtig durchsetzen: Die eingliedrige Juristenausbildung und die Schaffung der Verwaltungswissenschaftler. Der 68er Wirbel hatte hier vieles auch durcheinandergebracht. Spannend war es damals allemal, in Konstanz zu studieren.

Hans Paul Lichtwald


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