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Landwirtschaft - man denkt gleich an die wütenden Kolonnen, die in ihren Traktoren gen Bonn oder Brüssel gezogen sind. In schöner Regelmäßigkeit wiederholen sich diese Bilder des Bauernprotests, der Bauernkrieg von 1524 mag da nur ein Anfang gewesen sein, die Konsequenzen bleiben immer die gleichen, nämlich dass die Rahmenbegingungen von anderen gesetzt werden, die Landwirte sich anpassen müssen. Das zeigt auch deutlich die Entwicklung der Landwirtschaft seit dem zweiten Weltkrieg auf. Damit wird aber auch die Umwandlung unserer Region verdeutlicht, die eben außer den Zentren wie Singen, Stockach und Radolfzell immer "ländlicher Raum" war, aber sich inzwischen anschickt, die Arbeitsplätze besser zu verteilen.

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Geschichte des Landkreises Konstanz

Zwischen Europa und den Kunden vor der Haustüre

Schon Ende der 60er Jahre setzen Planungen zu einer großen Flurbereinigung ein. In einem möglichst gerechten Verfahren sollen die kleinzelligen Landflächen zu besser nutzbaren Feldern umgewandelt werden, die durch ihren Zuschnitt den Einsatz von Maschinen zur Rationalisierung zulassen. Das Verfahren ist kompliziert und langwierig. In manchen Orten, wie zum Beispiel Aach, beginnt, rund 30 Jahre nach dem Startschuss, nun erst die örtliche Planung.

Für viele Landwirte bedeutete das auch eine Entscheidung, ob der eigene Hof noch eine Zukunft hat. Die Zahlen, die das Amt für Landwirtschaft in Stockach vorlegt, sprechen Bände: Zwischen 1979 und 1995 hat sich die Zahl der Haupterwerbslandwirte im Kreis Konstanz glatt halbiert. Sie sank von 1382 auf 727 Betriebe. Der klassische ländliche Raum ist am stärksten betroffen. In Tengen sank die Zahl der Haupterwerbslandwirte im oben genannten Zeitraum von 70 auf 26 ab, in Eigeltingen von 89 auf 31, in Hohenfels von 80 auf ganze 25. Inzwischen Gründen sich schon Gemeinschaften von Bauern, die ihre Betriebe zusammenlegen, um effektiver produzieren zu können, um bei den niedrigen Preisen im Überschussgebiet Europa noch etwas verdienen zu können. Europa ist aber nur die eine Seite der Medaille: Seit Ende der siebziger Jahre setzt auch eine ganz andere Bewegung ein: Betriebe sagen der bürokratisierten Landwirtschaft Ade und setzen verstärkt auf Selbstvermarktung meist verbunden mit biologischem Anbau. Seit 1991 gibt es das Modellprojekt Konstanz, ein bislang einzigartiges Projekt, dessen Förderung durch die EU und das Land allerdings im nächsten Jahr ausläuft.

Die Verhandlungen über eine Verlängerung sind gerade im Gange. Den Bauern wegbekommen von der anonymen Lieferung und den Ausstieg aus klassischen Prämiensystemen (auch das trieb die Bauern ja immer wieder auf die Barrikaden) und hin zur regionalen Vermarktung bei umweltverträglicher Produktion ist das Ziel dieses Modellprojekts. Der Umdenkungsprozess vom Denken Ende der 60er Jahre, das von der industrialisierten Landwirtschaft geprägt war, brauchte seine Zeit hin zur Landwirtschaft im Einklang mit einer Region. Dass das hier im Hegau und am Bodensee passiert, ist eigentlich kein Wunder. Gepflegt wird diese einzigartige Ferienlandschaft schließlich von den Landwirten. 1996 kann der erste Bauernmarkt in Radolfzell eröffnet werden, der ausschließlich von Bauern aus der Region beliefert wird. Eine neue Chance zur Existenzsicherung. 1998 folgt der Bauernmarkt Konstanz. Doch auch die Wirtschaft lässt sich durchaus begeistern.

Die Kliniken Schmieder in Gailingen, Allensbach und Konstanz haben es sich bespielsweise zum Prinzip gemacht, Lebensmittel, so möglich, ausschließlich aus dieser Region zu beziehen. Trotz Ökologie sind da großküchentaugliche Waren gefragt. Pläne, mit den ökologisch produzierten Lebensmitteln auch in den Großhandel für Kantinen oder Großküchen einzusteigen, um eine breitere wirtschaftliche Basis zu schaffen, und so auch eine Zukunft für die wenigen noch verbliebenen Landwirte, sind schon recht weit gediehen. Es geht inzwischen um die "Serienreife". Das Modell ist ausbaufähig: Schätzuingen gehen davon aus, dass nur rund ein viertel der im Kreis konsumierten Lebensmittel aus dem Kreis selbst kommen. Allerdings: Die Zahl der Landwirte wird trotzdem weiter abnehmen. Preis und Qualität sind einfach zweierlei Maß, und Tengens Bürgermeister Helmut Groß wird sich weiter sorgen machen müssen, wer denn in zehn Jahren die schöne Randenlandschaft weiter pflegt. Aber es kann eine Saat für die Zukunft ausgebracht werden. Es geht auch um die Zukunft einer Region.

Oliver Fiedler


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