Bei Hilzingen und Singen wurden während des Autobahnbaues Bodenverfärbungen dokumentiert, die auf große über 20 m lange Häuser schließen lassen. Es handelte sich um 4-schiffige Ständerbauten mit lehmverstrichenen Flechtwänden. Bewohnt wurden sie vermutlich von Großfamilien. Der anfallende Müll - Knochen, Tongefäßscherben und Feuersteinsplitter, ab und an auch Brandschutt - entsorgte man in die Lehmentnahmegruben. Im Bereich des neuen Singener Festplatzes, wo sich zwischen 5 000 und 4 500 v. Chr. eine Siedlung befand, warf man Abfälle einfach in einen unmittelbar vor den Häusern liegenden Altarm der Radolfzeller Aach. Die Aach diente aber auch der Versorgung von Tier und Mensch. Unzählige Trittsiegel belegen die Nutzung als Viehtränke für Haustiere. Von großer Bedeutung war der Fischfang, wie gut erhaltene Fischwirbel und sogar Fischschuppen zeigen. Sie wurden in großer Zahl nach dem Sieben von Bodenproben aus den Siebrückständen ausgelesen. Bisher sind Rotauge, Flußbarsch und Felchen nachgewiesen.
Auf den Fang sehr großer Fische weist eine fast 20 cm lange Harpune aus Hirschgeweih hin. Da die tiefsten Bodenschichten bisher im Grundwasser lagen, konnten sich auch unverkohlte Pflanzenreste erhalten. So detaillierte Einblicke in die Umwelt und Ernährungsgewohnheiten dieses Zeitabschnittes waren in Mitteleuropa bisher nirgends gegeben. Zahlreiche Samen und Früchte des Gewöhnlichen Froschlöffels weisen auf Uferröhricht oder Ried hin. Weiterhin fanden sich Drusch- und Entpelzungsreste von Nacktweizen und Emmer - einer altertümlichen Weizenart. Bei der Reinigung des Kornes fielen 16 verschiedene Getreideunkräuter als Abfall an. Als Reste von Sammelobst sind die Samen von Erdbeere, Himbeere, Schlehe und Schwarzem Hollunder zu deuten. Vier der nachgewiesenen Wildpflanzenarten wachsen ausschließlich an warmen trockenen Standorten am Saum von Wäldern. Auf keinen Fall konnten sie in der Aue wachsen, sondern sie müssen durch den Menschen hergebracht worden sein. Hierzu zählt auch der wilde Majoran, der schon in alten Zeiten als Heil- und Zauberpflanze galt und heute vor allem in der Küche als Gewürzkraut verwendet wird ("Pizzagewürz"). Die Schmuckfreudigkeit der frühen Singener belegen flache Kalksteinperlen, die am Ort selbst hergestellt wurden, wie zerbrochene Rohstücke und Halbfabrikate beweisen. Weiterhin fanden sich Bruchstücke von Armringen aus Ton und Stein sowie Zahnanhänger. Zur Körperbemalung wurde Roteisenstein - sog. Rötel - verwendet. Daß sich die Fundschichten überhaupt erhalten konnten, ist die Folge steinzeitlicher Umweltschäden: Im Zuge von Rodungen und Ackerbau kam es hangaufwärts zur Abschwemmung humosen Oberbodens, so daß die Überreste am Hangfuß in der Aachaue immer tiefer eingebettet wurden. Andererseits dürften dem Bodenabtrag, der sich seit der Steinzeit immer mehr beschleunigte, die eigentlich in Siedlungsnähe zu erwartenden Gräber längst zum Opfer gefallen sein.
Bisher kennen wir nur aus Mühlhausen-Ehingen vier Bestattungen dieser Zeit. Ab 4 500 v. Chr. kommt es im Hegau und im übrigen Mitteleuropa zu einem bisher nicht erklärbaren starken Siedlungsrückgang, der erst mit Beginn der Pfahlbausiedlungen um 3 900 v. Chr. am Bodensee ein Ende findet. Ob Seuchen, klimatische oder kriegerische Katastrophen hier eine Rolle spielten? Das Rätsel dieser "dunklen Jahrhunderte" zu entschlüsseln bleibt Aufgabe zukünftiger Forschung. Als erster Schritt dazu wird während der Landesgartenschau im kommenden Jahr eine Fläche im ehemaligen Aachbett geöffnet. Hier wird dem Besucher ein unmittelbarer Einblick in die Bandbreite der Arbeitsmethoden und die Aussagemöglichkeiten einer umweltgeschichtlich orientierten Archäologie und ihrer Nachbarwissenschaften gegeben.
Dr. Bodo Dieckmann