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Im Interview mit Barbara Fülle, freie Lokaljournalistin

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Barbara Fülle, freie Lokaljournalistin
Barbara Fülle, freie Lokaljournalistin

Das »Sprachrohr der Politik zu sein, ist nicht unsere Aufgabe«

Singen (wom).

Fragen: Frau Fülle, Sie sind seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin. Wie sehen Sie die Lage des deutschen Lokaljournalismus?
Barbara Fülle: Über den deutschen Lokaljournalismus kann ich pauschal nicht urteilen. Bei den Blättern, die ich zur Kenntnis nehme, fallen mir im Lokalen zwei Dinge auf: Es scheint erstens zunehmend egal zu sein, womit das Papier bedruckt wird, Hauptsache die Zeitung funktioniert noch als Werbeträger. Und zweitens ist lokale Berichterstattung oft Teil des herrschenden Systems. Wenn die Politik beispielsweise ein Bauvorhaben zum Prestigeobjekt erklärt, jubelt der Lokalteil mit. Da wird dann Lokaljournalismus mit Lokalpatriotismus verwechselt und alles auf Hochglanz poliert. Aber: das Sprachrohr der Politik zu sein, ist nicht unsere Aufgabe.

Frage: Was sehen sie als Gründe dafür?
Barbara Fülle: Der Lokalteil wird oft mit einem Minimum an Recherche gefüllt. Da wird nachgefragt, was man sich zum Valentinstag schenkt, wer das beste Erdbeerrezept kennt oder wo es den besten Leberkäswecken gibt. Tamtam-Journalismus ohne jeden Nutzwert, Hauptsache, der Rechercheaufwand tendiert gegen Null und das inhaltliche Nichts kann durch fantasievolles Layout schön verpackt werden. Auch Terminjournalismus füllt zuverlässig die Seiten. Endlos-Serien sind ebenfalls ein probates Mittel, die Seiten möglichst zeit effizient vollzukriegen.

Frage: Sehen Sie die Situation nicht zu negativ?
Barbara Fülle: Nein. Der Grund sind immer neue Sparrunden und die Verachtung der Verlage für die Inhalte. Das führt zu Low-Budget-Redaktionen, der Trend geht zur Rumpftruppe. Immer weniger ausgebildete Kolleginnen und Kollegen schrubben immer noch mehr Texte und füllen Seiten unter grenzwertigen Bedingungen.

Frage: Aber in Lokalzeitungen arbeiten doch gut ausgebildete, fest angestellte Redakteure und nicht ungelernte Freie wie Rentner Hausfrauen oder Schüler.
Barbara Fülle: Fest angestellte Redakteure gibt es immer weniger, und weil die Arbeit ja gemacht werden muss, bekommen sie ungelernte Kräfte an die Seite gestellt. Die Frage, wann dien ächste Runde an Stellenstreichungen kommt, reißt nicht ab und sorgt für Hypernervosität in den Redaktionen. Ganz zu schweigen davon, dass selbsternannte Experten die Zeitung alle naselang neu erfinden und wie in einem Blutrausch ständig neue Formate fordern, ohne selbst jemals Journalismus gemacht zu haben.

Frage: Weshalb sollen Qualitätsmedien zuverlässiger sein als soziale Netzwerke oder Blogs?
Barbara Fülle: Der amerikanische Autor Jonathan Franzen hat über das Internet gesagt, es habe eine Welt geschaffen, in der es für jeden möglich ist, in seiner eigenen virtuellen Realität zu leben. Genau das sollte Journalismus aufbrechen: eine zementierte Welt, in der sich jeder ins einem eigenen Gedankengebäude einschließen kann. In der jeder nur noch das wahrnimmt, was seine eigene Weltsicht bestätigt. Sachverhalte kontrollieren, aufschreiben, einordnen – das sollten wir den Leserinnen und Lesern bieten, als Grundlage dafür, sich mit einer immer komplexer werdenden Welt auseinandersetzen zu können.

Frage: Und warum vertrauen die Menschen heute den sogenannten Qualitätsmedien weniger als noch vor 20 oder 30 Jahren?
Barbara Fülle: Gegenfrage: Warum wurde Donald Trump Präsident der USA? Ich denke, dass Medien ähnlich ticken wie die etablierten politischen Eliten: Was die ignorieren wird auch von den Medien gerne übersehen  - etwa die Welt derer, die vom Wohlstand abgehängt sind.

Frage: Die Qualitätsmedien werden heute als Lügenpresse beschimpft – ein Ausdruck der Nationalsozialisten. Haben diese Kritiker also ein Stück weit Recht?
Barbara Fülle: Nein. Auf keinen Fall. Der furchtbar belastete Ausdruck »Lügenpresse« hat ganz und gar nichts mit den Problemen zu tun, mit denen die gedruckte Presse angesichts schwindender Abonnentenzahlen und sinkender Anzeigenerlöse kämpft. Auch wenn in Zeitungen vieles undokumentiert bleibt, wenn Themen nicht ausgeleuchtet werden –weil ausgedünnte Redaktionen das nicht mehr leisten können – wenn also die Pflicht zu Aufklärung und Information oftmals auf der Strecke bleibt: Mit »Lügen« hat das nichts zu tun. Die »Lügen«-Rufer wollen ja gerade das Gegenteil von Aufklärung: Sie wollen die Welt, so wie sie in ihrer Vorstellung existiert, bestätigt wissen.

Wochenblatt @: Redaktion

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