Singen (wom). Herr Friedrich, wo wird mehr gelogen – in der Politik oder im Journalismus?
Peter Friedrich: Sagt man nicht, auf Beerdigungen würde am meisten gelogen? Ich glaube nicht, dass dieser Vergleich möglich ist und auch nicht, dass in Politik oder Medien irgendetwas gravierend anderes als in allen anderen Lebensbereichen geschieht.
Frage:Warum sind sich diese beiden Bereiche so ähnlich?
Peter Friedrich: Weil beide immer komplexer werdende Sachverhalte in immer kürzer werdender Aufmerksamkeit (er)klären müssen. Der Unterschied ist: ein Journalist kann jeden Tag eine andere Meinung zu einer Sache haben, als Politiker müssen sie sich irgendwann auf Dauer festlegen und etwas entscheiden.
Frage: Warum brauchen sich Politik und Medien gegenseitig so sehr?
Peter Friedrich: Weil beide Teil der friedlichen und freien Gesellschaftsordnung sind. Ohne Öffentlichkeit für politischen Diskurs und Handeln der Staatsgewalt verlieren wir die Kontrolle über die Grenzen der Macht in einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen. Ohne politische Öffentlichkeit kann es keine Demokratie geben.
Frage: Woher kommt es, dass heute Parteien am rechten Rand wie die AfD oder die Pegida-Bewegung wie selbstverständlich von einer Lügenpressesprechen?
Peter Friedrich: Zum einen dient es der Opferrolle, die AfD und andere beanspruchen um ihre verqueren Ansichten akzeptabel erscheinen zulassen. Weil man die eigene politische Hässlichkeit nicht erträgt, die man im Spiegel der Medien zu sehen bekommt, beschimpft man die Medien, sie würden ein falsches Bild zeichnen. Zum anderen überfordern Komplexität und Uneindeutigkeit unserer Zeit viele Menschen und gleichzeitig auch die Medien, die ja die komplexe Wirklichkeit zu nur immer kleiner werdenden Teilen abbilden können. Für viele ist diese Reduktions- und Filterleistung, wofür ich ja gerade Qualitätsmedien brauche, bereits der Beginn des Lügens.
Frage: Was hat sich gesellschaftlich verändert?
Peter Friedrich: Heinz Bude schreibt in seinem Buch »Gesellschaft der Angst«, dass durch den Wegfall so vieler Grenzen und Begrenztheiten die Menschen ein Sicherheitsgefühl verlieren, durch das sie bislang mit Uneindeutigkeit und Widersprüchen umgehen konnten. Es ist sozusagen der Preis der Freiheit, dass Unsicherheit entsteht und der Ruf nach weniger Offenheit und mehr Autorität entsteht.
Frage: Kritiker meinen, dass Projekte wie CETA, TTIP oder Stuttgart21 zu einem Vertrauensverlust in die Zivilgesellschaft führen und die Menschen immer weniger das Gefühl haben, dass es zählt was sie sagen.
Peter Friedrich: Ich glaube, dass zu viele Menschen fühlen, dass sie ganz persönlich von vielen Modernisierungsprojekten nicht mehr profitieren. Also dass der Nutzen von Wachstum, Globalisierung und Freiheit höchst ungleich verteilt wird. Deshalb glauben sie nicht mehr an den Fortschritt den diese Projekte bringen können und vertrauen auch denen nicht mehr, die sie vertreten und Verantwortung tragen.
Frage: Welchen Anteil tragen daran die Politiker, welchen die Medien?
Peter Friedrich: Wir erleben durch die totale Vernetzung einen permanenten Überbietungswettbewerb um die packendere Inszenierung und dadurch verlieren wir die Fähigkeit der differenzierten Betrachtung und die Zeit zur Diskussion. Da tragen alle Arten von Meinungsbildnern dazu bei. Wir sollten aber unsere Werte nicht wegen Einschaltquoten, Klickzahlen oder Wählerstimmen preisgeben.
Frage: Üben die Medien noch Einfluss aus?
Peter Friedrich: Sie bestimmen für ihren nach wie vor großen Teil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit was Thema ist und was nicht. Und sie treiben natürlich auch Debatten an – im Guten wie im Schlechten. Und sie haben auch noch im Lokaljournalismus meistens ein Monopol. Örtliche Internetmedien sind ganz oft politisch einseitig motiviert.
Frage: Warum sollen Qualitätsmedien zuverlässiger sein als Einträge in soziale Netzwerke oder Blogs?
Peter Friedrich: Das Problem ist, dass die Algorithmen der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen uns in einen medialen Kokon einspinnen. Wir sehen nur noch, was wir durch unser bisheriges Bewegungsmuster in den Netzwerken angelegt haben. So wie Sie auf einmal überall Werbung für Winterausrüstung sehen, wenn sie mal nach ein Paar Ski gesucht haben. Das gleiche passiert auch mit unseren Nachrichten und wir werden in unseren Meinungen immer mehr bestärkt. In den sozialen Netzwerken gibt es keine Durchbrechung wie im Qualitätsmedium, wo halt auch ein Journalist mit einer schrecklich konservativen oder ganz linken Ansicht kommentiert.
Frage: Wenn die Medien oder Qualitätsmedien der Schmierstoff und das Korrektiv in einer Demokratie sind – welche Rolle spielen dann die neuen Medien in den sozialen Netzwerken?
Peter Friedrich: Sie sind das Schmirgelpapier. Sie zerlegen die politische Kultur in winzige Teilöffentlichkeiten. Und wir stehen noch am Anfang dieser Entwicklung. Jede Medientechnologie hat Gesellschaft und Politik umgewälzt. Die Rotationsmaschinen, das Radio, das Fernsehen und jetzt das Internet. Und jede Technologie hat Gesellschaft und Politik enorm verändert.
Frage: Und warum vertrauen die Menschen dann heute den sog. Qualitätsmedien weniger als noch vor 20 oder 30 Jahren?
Peter Friedrich: Weil das Schmirgelpapier wirkt und jeder von uns seine ganz eigene Öffentlichkeit entwickelt.
Frage: Was stimmt: die Medien sind mächtig oder ohnmächtig?
Peter Friedrich: Die Medien sind immer noch mächtig, aber ich glaube ohnmächtig gegenüber diesem Zerfall. Das kann man bedauern, eröffnet aber auch neue Perspektiven.
Frage: Hat da der Non-Profit-Journalismus eine Zukunft?
Peter Friedrich: Ja, mittels öffentlich-rechtlicher oder spendenfinanzierter Medien wird es Qualitätsjournalismus neben bundesweiten Leitmedien geben. Aber ich fürchte es werden Qualitätsinseln in einem rauschenden Meer aus Informationsüberflutung sein.
Frage: Die Welt der Medien in zehn Jahren – beschreiben sie uns diese Welt mal. Wie sieht die aus?
Peter Friedrich: Donald Trump. Der Sieg der faktenfreien Polarisierung über die politische und mediale Kultur.